Die Labubus – eine Serie von Plüschfiguren mit spitzen Zähnen, großen Augen und einem schelmischen Grinsen – haben in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Karriere vom Kinderbuchmotiv zum globalen Kultobjekt hingelegt. Ursprünglich vom hongkong-chinesischen Künstler Kasing Lung als Bestandteil seiner illustrierten Werke „The Monsters“ erschaffen, trugen sie anfangs narrative Züge, inspiriert von Elementen nordischer Mythologie. Doch mit dem Übergang in die Hände des chinesischen Unternehmens Pop Mart und der Transformation in ein kommerzielles Sammlerprodukt, das gezielt Erwachsene anspricht, entwickelten die Labubus eine ganz neue kulturelle Bedeutung. Sie stehen heute exemplarisch für einen digitalen Konsumtrend, bei dem Social-Media-Plattformen – allen voran TikTok – nicht nur die Vermarktung, sondern auch die emotionale und soziale Bedeutung von Produkten maßgeblich mitbestimmen.
Die heutige kulturelle Relevanz der Labubus liegt nicht allein in ihrer physischen Form begründet, sondern in ihrer Präsenz in digitalen Räumen. Während klassische Merchandisingprodukte durch Film- oder Fernsehfranchises an Popularität gewannen, erfolgt die kulturelle Kodierung der Labubus fast ausschließlich über digitale Kanäle. Ihre Präsenz in sozialen Netzwerken, ihre limitierten Editionen und der Hype um Exklusivität machen sie zu einem identitätsstiftenden Gegenstand, der vor allem unter jungen Erwachsenen hohe Begehrlichkeit auslöst. Plattformen wie TikTok wirken hierbei als Beschleuniger, Multiplikator und emotionaler Verstärker zugleich.
TikTok und virale Sichtbarkeit
TikTok, als primär visuelle, algorithmisch gesteuerte Kurzvideo-Plattform, bietet einen besonders fruchtbaren Boden für den Aufstieg der Labubus. Die Struktur des TikTok-Algorithmus, der Inhalte nicht chronologisch, sondern nach Relevanz und Interaktionspotenzial sortiert, begünstigt virale Effekte – insbesondere bei Produkten, die sich visuell auffällig, überraschend oder niedlich präsentieren lassen. Labubus erfüllen all diese Kriterien: Ihre grotesk-sympathische Erscheinung zieht Aufmerksamkeit auf sich, während das Format der sogenannten „Unboxing“-Videos eine dramaturgische Erzählung bietet, die Spannung erzeugt und durch audiovisuelle Reize die Dopaminzentren der Zuschauenden aktiviert.
Typische virale Inhalte auf TikTok umfassen das Auspacken neuer Figuren, das Zeigen kompletter Sammlungen, der Tausch von seltenen Editionen oder das Aufgreifen von Challenges, bei denen etwa Reaktionen auf besonders gelungene oder enttäuschende Überraschungen inszeniert werden. Hashtags wie #LabubuUnboxing, #PopMartHaul oder #BlindBoxAddict verbreiten sich millionenfach. Influencer mit hohem Reichweitenpotenzial fungieren dabei als Trendmotoren. Durch ihre Präsenz und emotionalisierte Darstellung geben sie bestimmten Produkten kulturellen Status, noch bevor der traditionelle Markt reagieren kann.
Unboxing als Ritual und Event
Der Begriff „Unboxing“ beschreibt weit mehr als nur das Auspacken eines Produktes. In der digitalen Konsumkultur hat sich dieser Vorgang zu einem rituellen Akt entwickelt, bei dem nicht nur der Gegenstand, sondern die emotionale Reaktion auf dessen Enthüllung im Mittelpunkt steht. Psychologisch betrachtet wirkt das Unboxing ähnlich wie ein Belohnungsreiz: Die Erwartung, etwas Einzigartiges zu entdecken, gekoppelt mit der Spannung des Zufalls (vor allem bei Blind-Box-Systemen wie den Labubus), führt zu einer kurzfristigen emotionalen Erregung, die durch soziale Anerkennung in den Kommentaren noch verstärkt wird.
In der Videodokumentation dieses Moments verschmelzen persönlicher Besitz und öffentliches Erleben. Die Präsentation wird zum Event, das nicht nur den Konsum des Produkts selbst, sondern auch die Beziehung zwischen Konsumierenden und digitalem Publikum inszeniert. In vielen Videos ist zu beobachten, wie die Spannung beim Öffnen der Verpackung über inszenierte Mimik, begleitende Musik und gezielt gesetzte Schnitte aufgebaut wird. Der „big reveal“, also der Moment der Enthüllung, folgt einer eigenen Dramaturgie, vergleichbar mit einem Bühnenakt – der Ausgang ist offen, das Publikum fiebert mit.
Performativer Konsum und Inszenierung
Konsumhandlungen finden im digitalen Raum zunehmend nicht mehr im Privaten statt, sondern werden aktiv performt. Das bedeutet, sie werden bewusst inszeniert, kommentiert und zur Schau gestellt, mit dem Ziel, eine bestimmte Wirkung bei den Betrachtenden zu erzielen. Dabei spielen ästhetische Aspekte ebenso eine Rolle wie narrative Konstrukte: Wer ein besonders seltenes Labubu ergattert, präsentiert sich nicht nur als Sammler, sondern auch als erfolgreicher Teilnehmer an einem kulturellen Spiel, das auf Exklusivität und Timing basiert.
Diese Form des performativen Konsums ist eng verknüpft mit dem Streben nach digitaler Anerkennung. Kommentare, Likes und geteilte Inhalte wirken als soziale Belohnung. Zugleich wird durch die kontinuierliche Präsentation von Konsum ein Gefühl von Zugehörigkeit innerhalb einer Community erzeugt – wer die gleiche Figur besitzt, wird Teil eines kollektiven Narrativs. Dadurch wird das Produkt selbst zur Eintrittskarte in ein soziales Netzwerk, das sich über Plattformgrenzen hinweg fortsetzt.
„Erwachsenengeld“ als ironischer Kommentar zur Konsumlust
Der Begriff „Erwachsenengeld“, häufig augenzwinkernd auf TikTok verwendet, verweist auf eine neue Haltung zum Konsum im frühen Erwachsenenalter. Gemeint ist damit das bewusste Einsetzen des eigenen Einkommens für Dinge, die objektiv betrachtet als unnötig oder kindlich gelten – etwa Plüschfiguren, Anime-Merchandise oder Sammelkarten. In dieser ironischen Brechung steckt jedoch auch eine tieferliegende Botschaft: Es geht um Selbstbestimmung, um das Feiern des persönlichen Geschmacks und um die Wiederaneignung von Kindheitsgefühlen in einer zunehmend fragmentierten und leistungsorientierten Erwachsenenwelt.
Die Verbindung zu früheren Erfahrungen – etwa dem Öffnen eines Überraschungseis oder dem Sammeln von Panini-Bildern – ist nicht zufällig. Sie aktiviert eine nostalgische Dimension, die Geborgenheit, Einfachheit und kindliche Freude suggeriert. Dabei wird die gegenwärtige Konsumhandlung durch den Rückgriff auf Vergangenes legitimiert und zugleich aufgewertet. Das Labubu wird nicht nur gekauft, weil es schön oder wertvoll ist, sondern weil es als kulturelles Echo fungiert – als Brücke zwischen früherer Unschuld und gegenwärtiger Autonomie.
Digitale Kultur und Kaufverhalten
Die Auswirkungen dieser durch Social Media geprägten Konsumformen auf das Kaufverhalten sind vielschichtig. Durch die ständige Sichtbarkeit von Produkten entsteht ein permanenter Impuls zur Nachahmung. Psychologisch betrachtet werden dabei Mechanismen wie der Herdentrieb, FOMO („fear of missing out“) und kurzfristige Belohnungssysteme aktiviert. Jede neue Limited Edition wird nicht nur zum Produkt, sondern zum Event, zum sozialen Kommentar und zur emotionalen Projektionsfläche.
Zudem lässt sich ein Übergang vom bloßen Interesse an Produkten hin zu obsessiven Sammelpraktiken beobachten. Der digitale Raum verstärkt diese Tendenz, indem er nicht nur den Kauf selbst, sondern auch die Präsentation, Diskussion und Bewertung in Echtzeit ermöglicht. Hieraus entstehen neue Begehrlichkeiten, die nicht auf materiellen Nutzen, sondern auf emotionalen und sozialen Mehrwert ausgerichtet sind. Die Labubus werden damit zu Vehikeln einer neuen Form von Identitätskonstruktion, bei der Konsum nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck ist.

Kritische Reflexion
Doch wie nachhaltig ist eine Konsumkultur, die auf Digitalität, Kurzlebigkeit und Impulsivität basiert? Die Popularität der Labubus wirft grundsätzliche Fragen zur Substanz solcher Trends auf. Während ähnliche Phänomene – etwa die Sneaker-Kultur oder NFTs – teilweise mit künstlerischer oder technologischer Tiefe argumentieren, bleibt der Reiz der Labubus primär emotional und ästhetisch. Ihre kulturelle Halbwertszeit könnte begrenzt sein, wenn nicht neue Erzählungen, Designs oder mediale Strategien hinzukommen, die den Hype aufrechterhalten.
Gleichzeitig zeigen Beispiele wie die Zusammenarbeit mit dem Louvre, dass auch klassische Institutionen bereit sind, sich auf diese neuen Konsumformen einzulassen. Die Integration populärer Objekte in museale Kontexte deutet darauf hin, dass sich die Grenzen zwischen Kommerz, Kunst und Populärkultur weiter auflösen. Der langfristige kulturelle Wert solcher Entwicklungen bleibt dabei offen – er wird nicht allein von den Objekten selbst, sondern von den digitalen Erzählungen bestimmt, die um sie entstehen.
Ausblick
Die Geschichte der Labubus ist mehr als nur ein Fallbeispiel für geschicktes Marketing oder virale Effekte. Sie zeigt auf, wie sich Konsum in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft transformiert – hin zu einem performativen, emotional aufgeladenen und sozial eingebetteten Akt. Dabei verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart, Kindheit und Erwachsenenleben, Spiel und Ernst zu einem kulturellen Hybrid, dessen Zukunft noch geschrieben wird. Ob die Labubus dauerhaft Teil der Alltagskultur bleiben oder als kurzes Kapitel in der Chronik digitaler Phänomene enden, hängt letztlich davon ab, wie tief sich ihr Narrativ in die kollektive Vorstellungskraft einprägt – und wie lange sich Menschen durch ein Plüschtier verstanden fühlen.